Wie das Gremium sich zum Sparringspartner und Kontrolleur des Vorstands entwickeln sollte.

Deutsche Aufsichtsräte schöpfen ihre Möglichkeiten zu oft nur unzureichend aus. Mit ihrem traditionell zurückgenommenen Selbstverständnis nehmen sie im Alltag häufig vorwiegend passive Aufsichtsfunktionen wahr, statt als aktive Sparringspartner des Vorstands die Zukunft im Unternehmen mitzugestalten. Dadurch liegt eine wertvolle Ressource brach, welche die Unternehmensführung bei der Strategieentwicklung begleiten und hilfreiche Impulse geben könnte. Als offene Gruppe von Aufsichtsratspraktikern wollen wir dieses Potential nutzen. Wir setzen uns für eine aktivere und stärker zukunftsgerichtete Mandatsführung der Aufsichtsräte insbesondere börsennotierter Unternehmen ein. Der Gruppe gehören an: Cornelius Baur, Johannes Conradi, Thomas Dannenfeldt, Ute Gerbaulet, Lars Hinrichs, Isabel Knauf, Rolf Nonnenmacher, Doreen Nowotne, Victoria Ossadnik, Andreas Schmitz, Johannes Teyssen, Jens Tischendorf, Thomas Tomkos, Christian Ulbrich und Gunnar Wiedenfels. Unsere Anregungen zielen darauf, dass Aufsichtsräte ihre Aufgaben innerhalb des geltenden regulatorischen Rahmens intensiver wahrnehmen. Wir stellen das prägende Dualitätsprinzip damit keineswegs infrage. Vielmehr sind wir überzeugt, dass der Aufsichtsrat in all seinen Aufgabenfeldern auch innerhalb der bestehenden Ordnung längst eine deutlich aktivere Rolle spielen und ausfüllen könnte. Dazu regen wir mit konkreten Vorschlägen an, die der Anpassung an die spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens bedürfen.
Die Voraussetzung für eine funktionale und produktive Arbeit des Aufsichtsrats ist die Verständigung auf und die Vergewisserung über eigene Aufgaben und Arbeitsweisen. Wir regen daher an, dass der Aufsichtsrat ein Selbstverständnis formuliert, das sein Mandat als Sparringspartner, aktiver Begleiter und Kontrolleur des Vorstands anerkennt. Ein solches Selbstverständnis sollte spezifisch und aufgabenbezogen formuliert sein und dem Gremium ermöglichen, jederzeit dynamisch auf Veränderungen reagieren zu können. Es entsteht im Zusammenspiel mit dem Vorstand und ist innerhalb des regulatorischen Rahmens bewusst zu kommunizieren, insbesondere gegenüber Investoren. „Zu viele Aufsichtsräte lassen sich ihre Agenda vom Vorstand diktieren. Ein aktiver Aufsichtsrat setzt sich grundsätzlich in einer rollierenden Planung für jeweils zwölf Monate selbst sein Programm“, sagt der Manager Johannes Teyssen.
Wir schlagen deshalb vor, dass der Aufsichtsrat im Austausch mit dem Vorstand kontinuierlich Schwerpunkte seiner Arbeit festlegt und so selbstbewusst eine eigene Agenda setzt und fortentwickelt. Die einzelnen Mitglieder sind auf-gerufen, ihre spezifischen Kompetenzen einzubringen und bedarfsweise zum Beispiel aktuell zu Nachhaltigkeitsfrage nauch neue Kompetenzen zu entwickeln. Das Agenda Setting bedarf dabei auch der Diskussion im Aufsichtsrat in Abwesenheit des Vorstands.
Die Begleitung des Vorstands bei der Strategieentwicklung für das Unternehmen ist eine Kernaufgabe des Aufsichtsrats. Wir empfehlen, den Aufsichtsrat frühzeitig und konsequent in den Prozess der Strategieentwicklung einzubinden.
Dies kann geschehen durch den regelmäßigen Austausch über Markt- und Technologieentwicklungen, das Wettbewerbsumfeld sowie gesellschaftliche und politische Veränderungen. Soweit die antizipierten Entwicklungen strategisch relevante Risiken bergen, ist darüber ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln – sei es in einem dafür zu gründenden Strategieausschuss oder in geeigneten alternativen Formaten. Eine solche Vorgehensweise unterscheidet sich grundlegend von der bloßen Entgegennahme der durch den Vorstand vorgestellten Strategie. Sinnvollerweise stellt der Aufsichtsrat die vom Vorstand zu formulierende Strategie unter einen Genehmigungsvorbehalt. Im Konfliktfall muss der Aufsichtsrat willens sein, die Zustimmung zu versagen, und Konsequenzen ziehen, also im Rahmen seiner gesetzlichen Kompetenz den Vorstand gegebenenfalls auszutauschen. Zur stärkeren Beteiligung gehört auch die Kontrolle der Umsetzung der Strategie anhand der gemeinsam mit dem Vorstand definierten strategischen Leistungsindikatoren und Meilensteine. Damit der Aufsichtsrat seine aktive Rolle produktiv ausfüllen und eigene Standpunkte entwickeln kann, benötigen seine Mitglieder die dazu nötige Beurteilungskompetenz. Dem Nominierungsausschuss, der geeignete Kandidaten für den Aufsichtsrat identifiziert und das Besetzungsverfahren steuert, kommt dabei eine zentrale Aufgabe zu. Der Nominierungsausschuss ist für die kontinuierliche Personalplanung im Aufsichtsrat zuständig und sorgt dafür, ein präzises Anforderungsprofil zu gestalten und weiterzuentwickeln. Ziel seiner Arbeit ist es, dass der Aufsichtsrat der Hauptversammlung neue Aufsichtsratsmitglieder vorschlägt, deren Kompetenz und Persönlichkeit das Gremium weiterbringen.
Damit wird der Nominierungsausschuss auch zum zentralen Ansprechpartner für den Aufsichtsratsvorsitzen-den, der das Anforderungsprofil nutzen kann, um eine klare Erwartungshaltung an die Arbeit der einzelnen Mitglieder zu formulieren, regelmäßige Feedback-Ge-spräche zu führen, die Arbeit zu evaluieren und ein Performance-Management zu entwickeln. „Performancebewertungen sind in vielen wirtschaftlichen Bereichen üblich. Sie sollten endlich auch in die deutschen Aufsichtsräte einziehen“ sagt der Unternehmensberater Cornelius Baur. So wird der Aufsichtsratsvorsitzende in die Lage versetzt, seine maßgeblich gestaltende Rolle auszufüllen und seine Richtlinienkompetenz produktiv einzusetzen. Das Anforderungsprofil setzt voraus, dass der Aufsichtsrat sich über seine Aufgaben im Klaren ist, die dafür notwendigen Kompetenzen klar präzisieren und bedarfsgerecht anzupassen vermag sowie „Erfolg“ der Arbeit im Gremium definieren kann.
In allen drei Feldern – Selbstorganisation, Strategieentwicklung und Personalkompetenz – haben wir damit erhebliches Entwicklungspotential für die Arbeit der Aufsichtsräte skizziert. Dabei zielen unsere Anregungen darauf ab, den Aufsichtsrat insgesamt als zentrales Gremium für die Governance in Unternehmen zu stärken. Eine solche proaktive Herangehensweise wird der Verantwortung des Aufsichtsrats gerecht und stärkt das Vertrauen des Kapitalmarkts und der Öffentlichkeit in die Führung und Überwachung der börsennotierten Unternehmen in einer Zeit, in der Vertrauen die wichtigste Währung ist.
Wir betrachten die Vorschläge nicht als einen weiteren Leitfaden von Regeln, sondern als Verweise auf mögliche Best Practice für einzelne Felder unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Ein-zelfällen. Wenn es gelingt, den Aufsichtsrat auf diesem Weg vom passiven Kon-trollorgan zum aktiven Sparringspartner weiterzuentwickeln, ist unser zentrales Anliegen erfüllt.
Doreen Nowotne ist Managementberaterin und Multi-Aufsichtsrätin.
Johannes Teyssen war Vorstandsvorsitzender der E.ON SE und ist heute Vorsitzender des Verwaltungsrats der Alpiq Holding AG und Mitglied des Boards der BP p.I.c.
/ Illustration Peter von Tresckow
